Jedes Jahr werden zahlreiche Studien über die gesundheitlichen Auswirkungen von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern (HF EMF) veröffentlicht. Es handelt sich um epidemiologische Studien, die bei der Bevölkerung durchgeführt werden, oder um experimentelle Studien, die im Labor auf Menschen, Tiere oder Zellen durchgeführt werden.
Es stellt sich jedoch heraus, dass viele dieser Veröffentlichungen nicht den Qualitätskriterien für wissenschaftliche Studien entsprechen. Wenn nationale oder internationale Sachverständige eine Literaturstudie ausführen, um die Gefahr der Exposition einem bestimmten Agens, in diesem Fall RF-EMF, zu beurteilen, bewerten sie zuerst die Qualität der Studien. Dann gründen sie ihre Analysen auf Studien, wovon die Ergebnisse brauchbar, d.h. basierend auf eine angemessene Methodologie, sind. Bevor Schlussfolgerungen gezogen werden, müssen verschiedene Vorkehrungen getroffen werden. Einige davon werden hier aufgeführt.
1. Anwesenheit eines rigorosen experimentellen Vorsatzes
Im Allgemeinen muss der experimentelle Vorsatz sorgfältig erdacht werden und den zu untersuchen Hypothesen angepasst sein. Von Anfang an ist es wichtig, eine angemessene Methodologie für die Sammlung und Analyse der Daten zu wählen. Außerdem muss darauf geachtet werden, dass genügend Menschen für epidemiologische Untersuchung, oder Tiere oder Zellen für Laboruntersuchung selektiert werden. „Genügend“ bedeutet weder zu viel (um hohe Kosten oder eine lange Dauer zu vermeiden), noch zu wenig (mit dem Risiko, dass die Studie zur Auffindung einer Auswirkung nicht genug Vermögen hat).
Dies bedeutet auch, dass bei der Studie der gesundheitlichen Auswirkungen, wie verminderter Fruchtbarkeit oder Krebses, alle Faktoren, die bei der Entwicklung einer Erkrankung eine Rolle spielen können, berücksichtigt werden müssen. Das bedeutet, dass Faktoren, die nicht mit der untersuchten Exposition zusammenhangen und welche die Ergebnisse uninterpretierbar machen können, vermieden werden müssen.
Daneben müssen passende statistische Analysen benutzt werden, um aus den Daten zuverlässige Information abzuleiten, denn falsch benutzte statistische Methoden können zu irreführenden und unrichtigen Schlussfolgerungen führen.
Hier wird auf die spezifischen Merkmale epidemiologischer und experimenteller Laboruntersuchungen eingegangen.
Beispiel epidemiologischer Studien
Epidemiologische Studien kombinieren sehr unterschiedliche Methodologien. Es wird zum Beispiel ein Unterschied gemacht zwischen prospektiven Kohortenstudien, wobei einer Gruppe von Menschen während einiger Jahre gefolgt wird, beispielsweise was ihre Benutzung von Handys und ihre Gesundheit mit Bezug auf EMF (siehe COSMOS-Studie) betrifft. Während dieser Periode füllen die Leute regelmäßig Formulare über ihre Handy-Benutzung und andere relevante Expositionen, aber auch über ihren Lebensstil und ihre Gesundheit aus.
Neben prospektiven Kohortenstudien ist es auch möglich, eine Gruppe von Menschen mit einer Krankheit (z.B. Gehirnkrebs) und eine andere Gruppe von Menschen ohne diese Krankheit zu analysieren und die Unterschiede zwischen beiden Gruppen zu untersuchen, z.B. was die Handy-Nutzung betrifft, aber auch in Bezug auf andere relevante Expositionen, genetische oder Lebensstilfaktoren. Dies ist eine retrospektive Fallstudie.Eine retrospektive Fallstudie vergleicht eine Gruppe von Patienten mit einer Gruppe von Menschen ohne die untersuchte Erkrankung. Dabei wird geforscht, ob die Exposition an Strahlung in der Vergangenheit zwischen beiden Gruppen unterschiedlich war und ob dies die Erkrankung in der ersten Gruppe erklären kann.
Nachstehend werden Qualitätskriterien für retrospektive epidemiologische Fall-Kontroll-Studien auf dem Gebiet von HF-EMF aufgeführt, sowie methodologische Verzerrungen oder Fehler, welche die Studie entkräften können und das Ziehen von Schlussfolgerungen verhindern können. Zum Beispiel:
- Die Untersuchungspopulation und die Stichprobeselektion müssen genau umschrieben werden. Anhand von dieser Information muss entschieden werden können, ob bei der Rekrutierung von Teilnehmern in den zwei Gruppen von einem Selektion-Bias keine Rede ist.
- Der Stichprobenumfang muss deutlich definiert werden, d.h. die Anzahl Leute, die in jede Gruppe aufgenommen worden sind. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass z.B. im Falle von seltenen Krankheiten große Gruppen notwendig sind.
- Die Fall- und Kontrollgruppen werden aufgrund der Exposition an HF-EMF verglichen werden. Es ist jedoch auch wichtig, dass die Gruppen vergleichbare Merkmale mit Bezug auf Alter, Geschlecht, Wohnort, usw. haben und dass mit Bezug auf ihren Lebensstil oder die Exposition an anderen, für die Entwicklung der Krankheit wichtigen Agentia, kontrolliert wird.
- Die Methode für die Bewertung der Exposition ist auch ein wichtiges Kriterium. Sich ausschließlich auf die Erinnerung von Leuten an ihre Handy-Benutzung, z.B. vor 10 Jahren, verlassen, kann nämlich zu einem Recall-Bias führen, weil eine kranke Person sich an die vergangenen Expositionen mehr erinnern wird, vor allem wenn sie meint, es gibt einen Zusammenhang mit der Krankheit, als eine Person, die nicht krank ist.
Beispiel einer Laboruntersuchung
Epidemiologische Studien sind für die Volksgesundheit von großer Bedeutung, denn sie analysieren Menschen in ihrer Umgebung. Sie ermöglichen es jedoch nicht, neue Agentia in der Umwelt zu untersuchen, bevor sie eingeführt werden, z.B. Exposition an den neueren 5G-Frequenzen. Dieses Problem wird durch Laboruntersuchungen auf Zellen oder Tiere gelöst, indem Zellen (In-vitro-Studien) oder Tiere (In-vivo-Studien) auf kontrollierte Weise exponiert werden. Überdies verschaffen diese Studien Erkenntnisse in die möglichen Mechanismen, die jeder Art von schädlicher Änderung zugrunde liegen können. Es soll darauf hingewiesen werden, dass eine in vitro beobachtete Auswirkung, nicht automatisch bedeutet, dass diese Auswirkung auch in vivo wird beobachtet werden. Die Zellen werden außerhalb ihrer normalen Umgebung gezüchtet, m.a.W. ohne das umliegende Gewebe, die Blutzufuhr oder die normale Zufuhr von Nahrungsstoffen, zum Beispiel. Ebenso haben nicht alle Auswirkungen, die in Modellorganismen, wie Mäusen, beobachtet wurden, dieselben Folgen für größere Organismen, wie Menschen, aber es gibt genügend Übereinkünfte, wodurch die Daten brauchbar sind.
Die Mindest-Qualitätskriterien für Laboruntersuchungen sind:
- Nutzung eines realistischen Signals: Zellen oder Tiere müssen EMF-Niveaus exponiert werden, die jenen Niveaus, woran Menschen exponiert werden können, entsprechen. Ebenso muss die Benutzung von EMF-Signalen bevorzugt werden, die hinsichtlich der Frequenz und Modulation möglichst viel den reellen, zu untersuchenden EMF-Signalen entsprechen. Deshalb muss die Probe, entweder Zellen oder Tiere, in einem angemessenen System exponiert werden;
- Dosimetrie: d.h. das Maß, worin EMF von Geweben absorbiert werden. Abhängig von der Frequenz werden Funkwellen in verschiedenen Verhältnissen vom Gewebe reflektiert und absorbiert, mit unterschiedlichen Penetrationstiefen. Für höhere Frequenzen bedeutet dies, dass Zellen in den oberflächlichen Schichten (z.B. der Haut), das größte Teil der Strahlungsenergie absorbieren werden. Auch andere Parameter, wie die Größe der Tiere, haben einen Einfluss auf die absorbierte Dosis. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Information über die Dosimetrie gegeben wird, da zu hohe Dosen (oberhalb von den Expositionsgrenzen) zu Erhitzung von Geweben (ähnlich wie in einem Mikrowellenherd) führen können, die in den meisten Fällen die Ursache der in manchen Studien beobachteten Auswirkungen sein wird, aber die nicht für unsere tägliche Exposition repräsentativ sein würde. Im Idealfall gibt es auch eine Kontrolle der Temperatur der Probe;
- Die Inklusion von mindestens einer Kontrollgruppe, d.h. einer Gruppe, die nicht exponiert wird, aber wohl den exakt gleichen Umständen wie die exponierte Gruppe unterworfen wird, um etwaige Umgebungsfaktoren auszuschließen. Andere Kontrollgruppen, wie eine positive Kontrollgruppe (d.h. eine Gruppe, die einem Agens exponiert wurde, wovon bekannt ist, dass es z.B. Genommutationen hervorruft), werden ebenfalls stark empfohlen.
- Blinde Prüfbedingungen: hierbei weiß der Forscher nicht, welche Proben exponiert wurden und welche nicht, um jedes Urteil a priori auszuschließen und Verzerrung der Endergebnisse vorzubeugen.
2. Genaue Interpretation der Ergebnisse
Auch die Interpretation der Ergebnisse muss mit großer Vorsicht stattfinden; ein Zusammenhang zwischen Faktor A und Faktor B bedeutet nämlich nicht, dass zwischen Faktor A und Faktor B ein Kausalzusammenhang besteht, weil Zufall oder Interaktion mit anderen Faktoren (C, D, E ...) eine Rolle spielen können. Zwei Beispiele:
- Warum ist es immer die andere Schlange, die schneller vorwärtsgeht? In diesem Beispiel würde Faktor A, unsere Anwesenheit in einer Schlange, dazu führen, dass die Schlange langsamer wird (Faktor B). Es handelt sich selbstverständlich um Zufall, denn unsere Beobachtung wird durch die Illusion von Pech verzerrt.
- Ein Verband zwischen dem zugenommenen Eisverkauf (Faktor A) und der Anzahl Sonnenbrände (Faktor B) ist bewiesen worden. Könnte das Essen von Eis Sonnenbrand verursachen? Dies ist selbstverständlich nicht der Fall. Zwischen A und B gibt es zwar einen Zusammenhang, aber keine Ursache-Wirkung-Beziehung, weil ein dritter Faktor mitspielt, nämlich die Sonne an einem heißen Sommerstag.
Um Ursache-Wirkung-Beziehungen zu untersuchen, muss ein rigoroser experimenteller Vorsatz, wie oben beschrieben, angewandt werden, wobei alle betreffenden Faktoren berücksichtigt werden.
Wie muss man eine Veröffentlichung lesen, um zu urteilen, ob von einem Kausalzusammenhang die Rede ist?
Beispiel epidemiologischer Studien
Um die Möglichkeit eines Kausalzusammenhangs zu beurteilen, werden die Bradford-Hill-Kriterien angewandt. Mit Bezug auf die HF-EMF haben wir zum Beispiel:
- Plausibilität der Ergebnisse: Können die Ergebnisse aus biologischem Blickpunkt mit der Exposition verbunden werden?
- Folgerichtigkeit: Bestätigt eine Wiederholung der Studie mit unterschiedlichen Populationen die Ergebnisse?
- Zeitlichkeit: geht die Exposition dem Ergebnis voran?
- Stärke der Wirkungen: Wenn die Wirkungen mit Bezug auf die Exposition groß sind, wird ein Kausalzusammenhang wahrscheinlicher sein, aber kleine Wirkungen besagen nicht unbedingt, dass es keinen Kausalzusammenhang gibt. Daneben ist es auch wichtig, die Dosis-Respons-Beziehung zu betrachten. Das bedeutet: werden die Wirkungen stärker, je nachdem die Exposition größer wird? “
- Spezifität: Ist die Exposition nur mit einer bestimmten Wirkung assoziiert, oder gibt es eine Vielfalt von Wirkungen, die sich ereignen können? Handelt es sich dabei immer um dieselben Wirkungen, oder sind sie beliebig? Dieses Kriterium wird regelmäßig zitiert, aber scheint anfällig für Kritik, weil es nicht oft zutrifft. Um einen Kausalzusammenhang festzustellen, ist es wichtig, dass eine Wirkung für ein bestimmtes Expositionsszenario spezifisch ist.
- Biologischer Gradient: nimmt die Inzidenz der Krankheit ab, wenn die Exposition weggenommen wird?
3. Eine einzige Studie genügt nicht
Jede Forschungsmethode (epidemiologisch oder experimentell) ergibt Information, aber keine einzige Methode ist perfekt. Im Allgemeinen darf nicht aus dem Auge verloren werden, dass die Ergebnisse einer einzigen Studie nicht genügen, um eine Theorie zu validieren. Es ist nicht nur notwendig, die Ergebnisse mit jenen anderer Forschungsmethoden zu vergleichen, aber auch die Studie zu replizieren und die Ergebnisse mit jenen anderer Labore zu vergleichen.
Bei der Festlegung des Gewichts des Beweises für eine mögliche Auswirkung, d.h. das Maß der Plausibilität von Hypothesen (Anses, 2016), ist es deshalb notwendig, den gesamten wissenschaftlichen Corpus der durchgeführten Studien zu analysieren. Systematische Schriftenverzeichnisse und Metaanalysen, wobei alle Veröffentlichungen über eine bestimmte Auswirkung analysiert werden, werden benutzt, um das Gewicht des Beweises zu beurteilen, statt die Ergebnisse einer einzigen Studie zu untersuchen.